Stockach und die Schweiz

Die ersten „Schweizer“, die ihren Blick auf Stockach richteten, stammten aus dem Grafengeschlecht der Eberhardinger. Diese Familie lebte ursprünglich im Zürichgau, ihre Stammburg ist aber unbekannt. Nachdem sie sich im 11. Jahrhundert auf der Nellenburg, einem Berg oberhalb von Stockach, angesiedelt hatten, nannten sie sich nach ihrer Burg „Grafen von Nellenburg“. Sie standen in Konkurrenz zu den Zähringern, Kyburgern und Habsburgern, die ihre Stammburgen in der heutigen Schweiz hatten. Zu den bedeutendsten Taten der Nellenburger Grafen zählt die Gründung des Klosters Allerheiligen, verbunden mit der Gründung der Stadt Schaffhausen im 12. Jahrhundert. Im 13. Jahrhundert gründete die Adelsfamilie auch die Stadt Stockach, deren historischer Teil bis heute die sogenannte „Oberstadt“ bildet. Im späten 15. Jahrhundert verkaufte einer der letzten Vertreter der Familie die gesamte Grafschaft Nellenburg samt der Stadt Stockach an das Haus Habsburg und Stockach zählte bis 1810 zu Vorderösterreich. 

 

Den zweiten Bezug der Stadt zur Schweiz bilden die Vorgänge um die Schlacht am Morgarten im Jahr 1315. Auf der Habsburg (im heutigen Kanton Aargau) plante Herzog Leopold im November 1315 einen Feldzug in die heutige Innerschweiz. Die Bauern des Dorfes Schwyz sollten bestraft werden, weil sie in den Wäldern des Klosters Einsiedeln Holz gestohlen hatten. Damals wie heute liegt Schwyz in einem Talkessel, der wegen der umfangreichen Bewachungsanlagen nur schwer zu betreten war. Bei einem Kriegsrat vor Beginn des Angriffs wurde dies aber nicht als Problem betrachtet, weil das Heer Leopolds sich für überlegen hielt. Nur der Hofnarr des Herzogs meinte, es sei sicher nicht schwer, „in das Land Schwyz“ hineinzukommen. Aber wie man aus dem Talkessel wieder wohlbehalten herauskomme, das habe man leider nicht diskutiert. Der Hofnarr hieß Kuony – und er war ein Stockacher Bürger. Weil der Zug des Heeres entlang des heutigen Ägerisees verraten wurde, konnten die Schwyzer Leopold in einem Hohlweg überraschend angreifen und das habsburgische Heer schlagen. Leopold überlebte und als Dank für den Rat seines Hofnarren stellte er Kuony ein Privileg in Aussicht. Kuonys Heimatstadt Stockach sollte einmal im Jahr – zwischen Lichtmeß und Sonntag Lätare – über sich selbst richten und regieren dürfen. Aus dieser Zusage wurde aber nichts. Erst Herzog Albrecht von Habsburg setzte während der Schlacht von Zürich im Jahr 1351 das Versprechen seines Vorgängers in die Tat um und übergab Kuony von Stocken das gewünschte Schriftstück. Aus diesem Privileg (heute „Hauptbrief“ genannt) entwickelte sich im Lauf der Jahrhunderte ein ganz eigentümlicher Fasnachtsbrauch, nämlich das „Hohe Grobgünstige Narrengericht zu Stocken“. Dieses Gericht, bestehend aus 22 Kollegen tagt alljährlich am „Schmutzigen Donnerstag“ und verhandelt gegen einen prominenten deutschen Bundes- oder Landespolitiker. Der Beklagte des Jahres 2012 war der Wirtschaftsminister Philipp Rösler.

 

Die dritte Begegnung mit den Schweizern hatte Stockach im Jahr 1499. Im Krieg der „Kuhschweizer“ gegen die „Sauschwaben“ (je nach Blickrichtung auch als Schwaben- oder Schweizerkrieg bekannt) belagerten Söldner aus Zürich, Schaffhausen, Bern und anderen Städten Stockach. Die Belagerung musste jedoch nach acht Tagen abgebrochen werden, weil die Munition ausgegangen war und die Schweizer sich nicht über die richtige Angriffstaktik einig waren. Sie zogen erfolglos ab. Den unvermuteten Sieg feiern die Stockacher seither alljährlich mit einem großen Fest, dem sogenannten „Schweizer Feiertag“. Er findet immer Mitte Juni statt, also zu dem Zeitpunkt, als 1499 der Angriff auf die Stadtmauern erfolgt war.  

 

Thomas Warndorf